Musik in Simbabwe: Zwischen Kommerz und Systemkritik
Geschrieben von F.D. Mhlanga
Farai Danny Mhlanga studierte öffentliche Verwaltung und Management und schloss mit einem Master in Peace, Leadership & Governance ab. Er arbeitet als Fachmann für Entwicklungsfragen und setzt sich für die Ermächtigung der Jugend und nachhaltige Entwicklung ein.
Find the English version of Mhlanga’s text on music and justice here.
Seit Generationen ist Musik in Simbabwe ein einflussreiches politisches Ausdrucksmittel. Heute werden Songs von kritischen Popmusikern von jungen Menschen millionenfach gehört. Unser Autor stellt die kontroversen Songs von heute in die längere Geschichte der populären Musik als Kritik an kolonialer und undemokratischer Herrschaft und als Mobilisierungsmittel für zivilgesellschaftliches Engagement.
Der geschichtliche Hintergrund
Der Einsatz von Musik für politische Ziele begann während des Befreiungskampfes mit Künstlern wie Thomas Mapfumo in den 1970er Jahren. Mapfumo adaptierte traditionelle Musikstile, die mit der Mbira gespielt wurden, für die verstärkte E-Gitarre. Seine Musik und Texte waren Botschaften des Widerstandes und der Einheit im antikolonialen Befreiungskrieg, dem zweiten Chimurenga. Das Genre der Chimurenga-Musik entstand und sie mobilisierten breite Teile der Bevölkerung für den Unabhängigkeitskampf.
Die Regierungspartei des unabhängigen Simbabwe kannte also die mobilisierende Wirkung der Musik gut und versuchte schon bald die Aussagen zu kontrollieren. Die einzigen Künstler, die ganz explizit über Politik sangen, waren von der Regierungspartei beauftragt, so zum Beispiel der Mbare Chimurenga Chor. Ansonsten hagelte es unter der Führung von Robert Mugabe bis in die frühen 2000er Jahre Zensur, Verhaftungen und Schikanen gegen Künstler, die über Politik sangen. 2005 floh dann auch Thomas Mapfumo in den Westen.
In den 2000er Jahren wurde Musik vermehrt genutzt, um sich mit brennenden sozialen Fragen wie dem Zusammenhalt in der Nation oder HIV und AIDS und zu befassen. Oliver «Tuku» Mtukudzi, auch in der Schweiz mit seinen bejubelten Live-Auftritten bekannt, sprach mit seiner Musik familiäre und gesellschaftliche Probleme an: Häusliche Gewalt, frühe Eheschliessungen und Armut.
In dieser Zeit entstanden auch neue, elektronische Sounds, die sich von den Gitarren und Mbira-Klängen der Chimurenga Tradition abhoben: die urban grooves. Sie wurden auch darum so populär, weil die lokalen Radiostationen per Gesetz nun mehrheitlich lokale Musiker:innen spielen mussten. die urban grooves zielten vor allem darauf ab, die Kunst- und Kulturindustrie zu fördern waren und waren weniger politisch ausgerichtet.
ZimDancehall: Musik einer neuen Generation zwischen Kommerz und Systemkritik
Der Aufstieg von ZimDancehall als Genre innerhalb der urban grooves seit ca. 2010 brachte vor allem der jungen Menschen in der Nation eine neue Welle der Hoffnung. ZimDancehall brachte auch einen Aufschwung der Musikindustrie mit sich. Neue Technologien und das Internet boten den Künstlern viele Plattformen, um ihre Musik zu verbreiten. So erregte ZimDancehall auch die Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger, da es mit seinen Botschaften von der Stärkung der Jugend und der Veränderung der Kultur die Herzen der jungen Menschen eroberte. Das Regime verlor die Kontrolle über die Verbreitung und die Inhalte der Musik.
Künstler:innen wie Jah Prayzah mit Liedern zur Erhaltung der Kultur und des kulturellen Erbes berührten auch die Herzen der Älteren mit neuer Musik. Aber es entstand auch eine neue dissidente, jugendliche Kultur in der zweiten Republik. Die Pioniere dieser Musik waren junge Leute, vor allem Winky D, Soul Jah Love, Freeman, Jah Prayzah und Chillspot Records.
Insgesamt hat die ZimDancehall Kultur hat zu ernsthaften positiven und negativen gesellschaftlichen Veränderungen beigetragen. Dazu zählt nicht nur die Aufwertung der Kultur- und Kunstindustrie, sondern auch ein hoher Drogenkonsum unter Jugendlichen.
Musik als beissender Kommentar zum neuen Regime
Die Absetzung von Robert Mugabe führte zu einem Aufbruch, der 2017 im Album «Kutonga Kwaro» (zu Deutsch «seine Kontrolle») von Jah Prayzah gespiegelt wurde. Dieses Album des vielleicht populärsten simbabwischen Künstlers gab dem neuen Präsident ED Mnangagwa Rückenwind. Die Titel des Albums zündeten einen Funken und wurden als Prophezeiungen über die Legitimation der Herrschaft eines neuen Helden des Befreiungskrieges, in diesem Fall des neuen Präsidenten ED Mnangagwa, verstanden. Deutlich vehementer vertreten andere Musiker die Stimme der Jugend in den städtischen Ghettos: Winky D veröffentlichte Ende 2019 sein neuntes Album «Njema» («Fesseln» – Die Künstlerübersetzung meint physisch frei, aber mental gefesselt zu sein) nach den Wahlen 2018. Es wurde von den Hörern und der regierenden Partei als regierungsfeindliches Album interpretiert, das sich für die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit einsetzt und unangenehme Wahrheiten zur Sprache bringt.
Und heute?
2023 stehen in Simbabwe Wahlen an, einem Land mit hoher Arbeitslosigkeit, zivilen Unruhen, Zwietracht und Armut. Das von Winky D veröffentlichte Album «Eureka» testete die Denkweise und politische Reife der Hörer. Das Album sagt einen Kampf gegen Probleme voraus, welche die Jugend im Allgemeinen betreffen: Korruption, eine Nation ohne Identität und die schlechte Nutzung lokaler Ressourcen für wirtschaftliches Wachstum.
Im politisch gespaltenen Simbabwe wird heute auch die „Zugehörigkeit“ zu einen „Lager“ thematisiert. Holy Ten, der auf dem Album von Winky D mitwirkte und der angeblich der Regierungspartei angehört, wurde darum angeprangert für seine Beteiligung an einem musikalischen Projekt, das wiederum als „oppositionspolitisch“ motiviert bezeichnet wurde. Zwei Titel standen im Zentrum der Kontroverse: «Ibotso» und «Dzimba Dzemabwe».
«Ibotso», der Track an dem Holy Ten mitwirkte, handelt davon, wie die Reichen den Armen ständig etwas wegnehmen und wie die junge Frau zu einem Sexobjekt geworden ist und sich ausbeuten lassen muss, um zu überleben. Die Schlüsselmetapher des Liedes lautet «Vanotora zvevapfupi nekureba» («Sie nehmen von den Kleinen, weil sie grösser sind»).
«Dzimba Dzemabwe» («Häuser aus Stein») porträtiert ein Land mit einer gescheiterten Demokratie, das seine Kultur aufgrund von Intoleranz verloren hat. Eine Mehrheit der Simbabwer:innen dürften den künstlerischen Charakter des Projekts anerkennen. Aber die Jugendliga der Regierungspartei sprach dem Album den künstlerischen Wert ab und stellte Winky D als Anhänger eines Regimewechsels dar. In «Dzimba Dzembabwe» singt Winky D:
« What kinda legacy are we to leave for the coming generation?
Yes, I hope to see a better life, but it’s an imagination.
They talk about democracy, mi look all I just see is hypocrisy.
The dialogue is turning into a fallacy.
The Ghetto Youth’s ambition now turn into a fantasy.
From long time when mi grow, everybody know dis is di bread basket,
But, right now we carry water inna di basket. »
Musik ohne Sozialkritik ist leer
Der Aufschrei rund um Winky D symbolisiert das Ausmass, in dem die Politik Kunst und Musik entstellt und ihrer Bedeutung beraubt hat. Musik ist eigentlich Teil der Kultur und des Erbes; sie sagt unsere Vergangenheit und Gegenwart voraus.
Künstler wie Prophet Passion Java, Holy Ten, Saint Floew, Nutty O und andere aufstrebende ama2k-Künstler:innen, die der post-2000 Generation angehören, geben der Musik einen neuen Stil; aber diese jungen Leute schätzen Geld, Vergnügen und Erfolg so sehr, dass sie lieber dem Geld folgen. Auch musikalische Weggefährten von Winky D scheinen heute vor allem nach Erfolg und Geld zu streben. Wenn sie dem Geld folgen, stossen sie auf eine Oligarchie, die den Reichtum kontrolliert, den sie brauchen und so tanzen sie nach deren Pfeife. So passt dieses Musikgeschäft zum Politikgeschäft in Simbabwe: beide sind ein Spielplatz der Abzocker. Beispielhaft dafür ist der Musikerveranstalter Prophet Passion Java. Bei ihm geht es nur noch um die egomanische Verschwenderkultur der «Mbingas» (reiche Geldverschwender). Diese Musikerveranstalter sind Teil des Systems der Regierungspartei und sie werden genutzt, um mit Musik einen parteipolitisch nützlichen Patriotismus zu fördern. Musik in Simbabwe heute wieder zu einem politischen Instrument, das zur Kontrolle der Massen durch Propaganda und Hass eingesetzt wird.
Die befreiende Dimension von Musik wollen wir aber nicht vergessen: Die sozialen Medien sind noch immer ein Raum, in dem die Menschen mit qualitativ hochwertigen Beispielen für wahre Kunst und Musik versorgt werden. Kunst, die zeigt, wie eine Gesellschaft funktionieren kann. Aber nur wenn die Machthaber die Vielfalt für den sozialen Zusammenhalt und Einheit anerkennen, werden die Menschen eines Tages Lieder der Entwicklung und nicht des Kampfes singen.
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